Erweckt ein gegenüber Passanten bevorzugt behandelter Individualverkehr die gewünschte Ferien-Ambiance? Ist weitestmögliche Vorfahrterlaubnis tatsächlich ein essentielles Besucherbedürfnis? Oder ist sie ein historisch teils unbesehen gewachsenes, aber umso ortsprägenderes Mobilitätszugeständnis? Gar eines mit touristisch überschätzter Bedeutung oder negativen Effekten? Als Plädoyer für attraktive Dorfzentren blickt dieser Blogbeitrag in die Geschichte der Fussgängerzone. Ebenso werden neue Verkehrsszenarien sowie einige konsequent beschrittene Fokussierungen auf Fussgängerinnen und Fussgänger präsentiert.

Sie gelten mitunter als besonders augenfällige Unterschiede zu den meisten nordamerikanischen Städten: Die Rede ist von Flaniermeilen und Fussgängerzonen im alten Europa. Die grosszügige Spazierpromenade mit Strassencafés, Bars, Boutiquen aller Couleur und Strassenveranstaltungen gab es zwar bereits vor 1900. Und selbst autofreie Zonen sind mancherorts so alt wie das Aufkommen des Automobils selbst. Als eigentliche Fussgängerzone gilt jedoch die neuzeitlichere Umnutzung von einst motorisiert befahrenen Strassen. Strassen und Plätze also, auf denen Fussvolk den Vorrang vor anderen Verkehrsteilnehmenden zurückgewinnt.

Als erste offiziellen «Fussgängerzonen» Europas gelten nach diesem Verständnis die Lijnbaan in Rotterdam und die Treppenstrasse in Kassel, beide 1953 eröffnet. Renommierte Umsetzungen sind heute etwa in den Innenstädten von München (u. a. Marienplatz und Theatinerstrasse bis Odeonplatz) oder Wien (z.B. zwischen Burg, Stephansplatz und Oper sowie Teile der Mariahilfer Strasse) zu finden. Populäre Fussgängerzonen existieren ebenso an der Via del Corso und Piazza di Spagna in Rom, der Via della Spiga in Mailand oder der Strøget in Kopenhagen. Entdeckenswerte Beispiele gibt es in unzähligen weiteren Gross- wie Kleinstädten. Natürlich auch in Schweizer Stadtzentren (z.B. Lausanne und Winterthur) oder selbst in Bergdörfern, – doch hierzu später mehr. Gemeinsam ist solch öffentlichen Räumen im Übrigen nicht nur, dass sie besonders fussgängerfreundlich sind, sondern dass sie vor Ort meist ebenso zu den meistfrequentierten Touristenzielen zählen.
Verkehrszunahme verlangte Massnahmen
Viele Fussgängerzonen sind eine Folge der ab den 1950er- und 1960er-Jahren rapide angestiegenen Motorisierung. Innenstädte wurden aufgrund des stark zunehmenden Verkehrs immer unattraktiver. Darunter litt die Vitalität der Stadtzentren. Sie büssten an Anziehungskraft ein, drohten ihre Bedeutung als öffentliche Foren zu verlieren und galten mancherorts bereits als «sterbende Bezirke». Zur Standortförderung und Lösung der zunehmenden Verkehrsprobleme trugen der Ausbau öffentlicher Transportmittel bei – etwa neue Busverbindungen, Tramnetze oder U-Bahnen – sowie die Verkehrsberuhigung, durch teils mit Fahrverboten belegte Strassenabschnitte. Höchst umstritten war die Idee von Fussgängerzonen allerdings bei Geschäftstreibenden, die vor allem das Ausbleiben der motorisierten Kundinnen und Kunden befürchteten. So wurde in Wien das «goldene Quartier» beim Stephansdom 1971 zunächst nur provisorisch zum autofreien «Weihnachtskorso». Dieses Provisorium war jedoch dermassen erfolgreich, dass eine unbefristete Verlängerung folgte.
Verkehrsberuhigte Plätze, Gassen, Strassen und Boulevards sind attraktive Begegnungsräume für gesellschaftlichen Austausch, zum Flanieren, Einkaufen oder fürs Essen und Trinken unter freiem Himmel. Nicht zuletzt ebenso um lokale Historie, Sehenswürdigkeiten, Architektur und Kunstinstallationen möglichst ungehindert geniessen zu können. Es sind attraktiv gelegene Räume, an denen die Allgegenwart des Automobils nicht unhinterfragt blieb. Ort wo Stadtplanungen es verstanden, trotz aller Euphorie für das bequeme Fortbewegungsmittel, der städtischen Atmosphäre Sorge zu tragen. Und zwar einer, die sich eben durch mehr als flächendeckend motorisiertem Verkehrsaufkommen kennzeichnet. Solche raumgestaltenden Überlegungen berücksichtigen, dass Ambiente und ästhetisches Erleben wesentliche Wohlfühlfaktoren darstellen. Dadurch ebnen sie nicht selten den Weg zu prosperierendem Tourismus. Wenig überraschend sind die für Beherbergungs-, Laden- oder Gastronomiebetreiber besonders begehrten Immobilien häufig an solch autofreier Lage zu finden. Längst ist zudem erkannt, dass Verkehrsberuhigung, sowie Flanier- und Grünflächen, beträchtliche Wertsteigerungen bei Liegenschaften bewirken können.

Um einleitend erwähnten Stadtzentren Nordamerikas nicht allzu grosses Unrecht anzutun, seien auch jenseits des Atlantiks einige jüngere Entwicklungen aufgeführt. Denn, selbst in Kanada sowie den Vereinigten Staaten – wo rund 85 Prozent der Berufspendler in Metropolitanregionen sich mit dem Privatauto fortbewegen – wird immer offensiver auf verkehrsfreie Kernzonen gesetzt: Die Auswirkungen der in Konkurrenz stehenden Funktionen nichtmotorisierter und motorisierter Raumnutzer wurde lange verkannt. So verlagerte sich die beeinträchtigte Aufenthalts- und Begegnungsfunktion des öffentlichen Raums sukzessive aus den Innenstädten in Vorstädte (Suburbs) heraus. Um herbeigeführte Einschränkungen des Langsamverkehrs zu unterbinden, finden heute aufwändige und kostspielige Korrekturen zugunsten einer stärkeren Nutzungsvielfalt in den Zentren statt.
So ein Beispiel ist Vancouver, das in Untersuchungen zu urbaner Lebensqualität regelmässig zu den lebenswertesten Städten weltweit gezählt wird. Hier sind in den letzten beiden Jahrzehnten unzählige Grünanlagen und Flanierstrassen geschaffen worden. Die verkehrsfreien 9 km rund um den Stanley Park eingeschlossen, kann mittlerweile auf ca. 29 km die gesamte Downtown zu Fuss oder per Bike umrundet werden. Der «Entertainment District» an der Granville Street ist gar seit 1974 ausschliesslich für «Pedestrians» zugänglich. Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 2010 wurde die beliebte Ausgehmeile letztmals komplett saniert. Doch auch New York wird verkehrsberuhigt: Der Verkehrsfluss wird auch im pulsierenden Manhattan längst nicht mehr alleine durch Staus eingedämmt. Am Broadway sind die Abschnitte zwischen der 33. und der 35. Strasse sowie zwischen der 42. und 47. Strasse mittlerweile Fussgängerterrain. Statt New Yorker Passanten an den überfüllten Strassenrand zu drängen, sind die einst klar dominierenden Autos hier aus dem Strassenbild verschwunden. Dadurch ist auch der Times Square seit 2009 mehrheitlich verkehrsfrei und wird kontinuierlich zur vollwertigen Fussgängerzone umgestaltet. Auch in Städten wie Montréal, Toronto, Boston, Miami Beach oder San Francisco und San Diego laden fahrverkehrsfreie Flaniermeilen heute zum entspannteren Erkunden ein.
Autofreie Zonen auch als alpines Erfolgsrezept?
Für motorisierte Fahrzeuge gesperrte Strassen sind kein ausschliesslich urbanes Phänomen. Sie sind in Italien beispielsweise sogar sinnbildlich für zahlreiche pittoreske Urlaubs- und Ausflugsziele. Mediterranes Flair und «La Dolce-Vita» funktionieren schliesslich als zeitloses Faszinosum. Genannt seien deshalb der malerische Küstenort Manarola (Cinque Terre), Castiglione del Lago (Lago Trasimeno) oder auch das nahe der Schweizer Grenze gelegene Chiavenna (Valtellina). Das Altstädtchen des letztgenannten Durchgangsorts ist gleichzeitig Mitglied der «Cittàslow», einer 1999 in Italien gegründeten und mittlerweile internationalen Bewegung zur Entschleunigung und Erhöhung städtischer Lebensqualität. Doch auch in vielen bekannten Ski- und Bikedestinationen, wie etwa Livigno (ITA) und Whistler (CAN), setzt man auf verkehrsfreie Zentren. Privatfahrzeuge sind hier ausschliesslich auf den zahlreichen Parkplätzen am Rande der beliebten Shoppingstrassen erwünscht. Die verfolgten Ziele sind zumeist ähnlich: Blechlawinen im Zentrum abwenden, einladendes Ambiente und stressfreies Urlaubsgefühl bewahren, dadurch die Attraktivität für Kurz- und Langzeitaufenthalter aufwerten und möglichst die Verweildauer der Besucher erhöhen.

Dörfer die ganz oder teilweise auf motorisierten Privatverkehr verzichten, kennt aber auch die Schweiz. Besonders im Wallis rühmen sich Ferienziele ihrer langen autofreien Tradition. Wurden in den Sechziger- und Siebzigerjahren viele Schweizer Tourismusorte ganz nach den Bedürfnissen der Autofahrer weiterentwickelt (breite Hauptstrassen, neue Zufahrten, Rückbau von Gebäuden, Entfernung von Hindernissen etc.), zeigt sich der Verkehr heute teilweise als Problem, das ganze Ortschaften räumlich trennt. Probate Gegenmassnahmen wurden, meist aus Angst vor Umsatzeinbussen, vielerorts (zu) lange nur zögerlich gesucht.

Für ein konsequent autofreies Verkehrsregime entschieden sich hingegen Ferienklassiker wie Saas Fee und Zermatt. Eher spät überhaupt für den Strassenverkehr erschlossen, gelten hier die mitunter schärfsten Verkehrsreglemente der Schweiz. Innerorts sind lediglich bei Bedarfsnachweis die ortstypischen, schmalen Elektromobile oder Pferdekutschen zugelassen. Selbst die Ortsbusse werden zuhinterst im Saastal und Mattertal batteriebetrieben. Doch auch in längst autofreien Ferienorten wird die Weiterentwicklung der Verkehrsorganisation nicht einfach ad acta gelegt. In Saas Fee wie in Zermatt sind beispielsweise neue Ortsbahnen ein wiederkehrendes Thema um dem Besucheransturm Herr zu werden.
Gerade Zermatt kämpft zu Spitzenzeiten mit dem Besucheraufkommen im Ort. Alleine die Förderkapazität der Bergbahnen liegt mittlerweile bei stündlich rund 3000 Personen. Die des lokal zirkulierenden Busbetriebs nur bei 1000 Personen. Seit mehreren Jahren beschäftigt sich die Gemeinde deshalb mit neuen Verkehrssystemen. Als Alternative zu einer kostenintensiven Untergrundbahn wurde an der Universität Stuttgart eigens das Modell einer Schwebe-Metro entwickelt. Diese könnte dereinst über dem Flussbeet der Matter-Vispa fahren und den gewandelten Mobilitätsbedürfnissen Rechnung tragen. Für das Matterhorndorf ist es zentral, dass seine traditionellen Dorfkerne auch in Zukunft attraktiv bleiben und internationales Gästepublikum ansprechen. Aber auch emissionsfreie Umweltansinnen sollen der Verkehrspolitik der Oberwalliser Paradedestination natürlich nicht abgesprochen werden. Denn so oder so: Fehlender Motorenlärm, ausbleibende Abgasverschmutzung und die Positionierung als weitläufige Flanierparadiese inmitten prächtiger Bergwelt? Das funktioniert seit Jahrzehnten auch als medial wirkungsvoller Aufhänger bestens. Weltweit, wie nachstehender Nachrichtenbeitrag zeigt:
Ein Kanton voller Automobil-Skeptiker
Was heute erstaunen mag: Der Kanton Graubünden kannte ab 1900 gar ein generelles Fahrverbot für Motorkraftfahrzeuge. Fünf kantonale Volksabstimmungen zur Aufhebung des damaligen Automobilverbots scheiterten alleine nach dem Ersten Weltkrieg und erst 1925, nach insgesamt 25 Jahren, fiel das restriktive Gesetz. Von 1911 bis 1925 war Graubünden gar der weltweit einzige «Staat» der ein explizites Verbot für privaten Motorverkehr kannte. Die Bevölkerung im Kanton der 150 Täler und 15 Strassenpässe hatte zu Beginn des letzten Jahrhunderts zweifellos seine auffallend fundamentalen Mühen mit dem internationalen Siegeszug der kraftstoffbetriebenen Vehikel. Der Bedeutungsverlust der Bündner Nord-Süd-Verbindungen, und damit auch der einst einträglichen Fuhrhalterei-Transporte, waren schmerzlich für den Bergkanton. Die Eröffnung der Brennerbahn im Jahre 1867 und insbesondere die 1882 erfolgte Inbetriebnahme der Gotthardbahn bedeuteten das Ende der «goldenen Jahre» der Kommerzialstrassen. Solche Folgen der Moderne dürften dazu beigetragen haben, dass einer motorisierten Eroberung der Bündner Strassen lange ein rauer Wind entgegenwehte. Etwas erstaunlich scheint, angesichts der einst grassierenden Automobil-Phobie, dass kein einziger der traditionsreichen Bündner Kurorte autofrei blieb.

Als gutes Beispiel für eine, infolge gestiegener Verkehrsbelastung, realisierte Fussgängerzone gilt allerdings das mondäne St. Moritz. Die Tourismusmetropole des Oberengadins kennt, zumindest in Teilen des Zentrums von St. Moritz Dorf, verkehrsfreie Strassenabschnitte. Die Bedenken von Gewerbetreibenden, Gastronomen, Hoteliers und Anwohnerschaft waren allerdings auch hier beträchtlich. Von den Kritikern der Fussgängerzone wurde 1989 sogar eigens der Dorfverein St. Moritz ins Leben gerufen um diese zu verhindern. Mittlerweile veranstaltet der selbe Verein in der Fusgängerzone Sommermärkte mit regionalen Produkten, den Weihnachtsmarkt oder etwa die beliebte Tavolata St. Moritz. Seitwärts parkierende Autos und Suchverkehr wünscht sich heute hingegen kaum noch jemand in die autofreien Gassen zurück.

Gstaad als neues Paradebeispiel
«Come up, slow down» hat sich Gstaad Saanenland Tourismus auf die Werbefahne geschrieben. Wer seit dem Jahr 2000 auf Pflastersteinen durch den exklusiven Ferienort spaziert, kann ungestört die aufwändig renovierten Chalets bestaunen, sich abwechselnd den zahlreichen Schaufenstern beidseits der Strasse widmen, oder auf einladenden Dorfplätzen und Strassenterrassen verweilen. Bis es zu dieser Aufwertung der Wohn- und Aufenthalsqualität kam, war jedoch ein langwieriger Prozess nötig. Bereits 1962 wurden erste Unterschriften für ein verkehrsfreies Zentrum gesammelt, das Vorhaben 1980 jedoch an der Urne abgelehnt. Ein Grossteil der Geschäftsinhaber, Hoteliers und auch Gäste konnten der Idee, sowie dem Gedanken nicht mehr mit dem Auto vorfahren zu können, lange nur wenig Begeisterung entgegenbringen. Erst 1994 gelang schliesslich ein erneuter kommunaler Abstimmungsanlauf. Mittlerweile wird die 52 Millionen Franken teure Verkehrsinvestition (u. a. zwei Parkhäuser, vier Kreisel, ein 432 Meter langer Dorftunnel) im Saanenland als «Jahrhundertbauwerk» gefeiert. Sie gilt mittlerweile gar als ein zentraler Hauptgrund für die weiterhin anhaltende Anziehungskraft des schicken Ferienorts.

Bei der Projektierung der verkehrsbefreiten Rückführung wurde grossen Wert auf sorgfältige Öffentlichkeitsarbeit gelegt. Frühzeitig fanden Bedürfnisabklärungen und die Einbindung betroffener Interessen- und Bevölkerungsgruppen statt. Ebenso wurde die optimale Anbindung der autofreien Zone (attraktive Parkhäuser und aufwändige Leitsysteme) sowie eine gute Erschliessung mittels öffentlichem Verkehr vorangetrieben. Parkierungsprobleme und Suchverkehr gehören, dank dem Mut zur vergleichsweise kostspieligen Fussgängerzone, der Vergangenheit an. Die mit einem Milestone (Preis für herausragende Touristik-Projekte) ausgezeichnete Promenade ist seit 16 Jahren vitaler und zentraler Anziehungspunkt in Gstaad. Gleichzeitig ist sie beliebte Veranstaltungsadresse für Kunst und Kultur. Ebensowenig fehlt hier das ortstypische «Sehen und Gesehen werden». Auffällig viele Sitzbänke und Strassenrestaurants säumen entsprechend den Weg entlang der von gehobener Klientel, als auch von Ausflugsgästen, gut besuchten Paradestrasse. Weiterer willkommener Nebeneffekt des fehlenden Zentrumsverkehrs: Im Winter bleibt auf der Promenade der Schnee weitaus länger weiss als noch vor der Jahrtausendwende.
Realisiert ist in der Gemeinde Saanen (zu der Gstaad gehört) seit kurzem auch der neue verkehrsfreie Ortskern von Saanen. Die erfolgreiche Fussgängerzone in Gstaad inspirierte zudem auch weitere Tourismusgemeinden im Berner Oberland zu eigenen Nachahmungen. So investierten seither etwa Interlaken und Meiringen in eine Aufwertung der Ortszentren, respektive in neugestaltete und teils autofreie Flaniermeilen nach Gstaader Vorbild. Diese Beispiele zeigen ausserdem, dass touristisches Potenzial verkehrsberuhigter Zentren offenbar links wie rechts des Parteienspektrums Anklang finden können. In Meiringen-Oberhasli wurde die Gemeindeinitiative «Für ein attraktives Dorfzentrum» 2008 von der SP eingereicht. In Interlaken stammt eine Petition aus dem Jahr 2009 (Forderung nach einer autofreien Bahnhofstrasse) aus den Reihen der lokalen SVP.
Autonome Bus-Shuttles und Autos
Unsere Mobilität ist beständig im Umbruch. Bedürfnisse und Gepflogenheiten von einst wirken teils schon nach wenigen Jahrzehnten bereits antiquiert oder weltfremd. Bahn- und Strasseninfrastruktur sind in der Schweiz mittlerweile so umfassend ausgebaut wie kaum in einem anderen Land. Eine erlangte Transportselbstverständlichkeit, die so selbstverständlich gar nicht ist. Im Schweizer ÖV-Ausbau wurde stets einer guten Erschliessung der Peripherie Aufmerksamkeit geschenkt, nicht zuletzt dank des Tourismus. Ein wesentlicher Unterschied zum Regionalverkehr vieler anderer Länder, wo der Fokus zumeist auf Verbindungen in und zwischen Ballungsräumen liegt. Dafür waren Schweizer 2015 denn auch wiederholt Europameister was die Anzahl Bahnfahrten pro Jahr betrifft (53) und gar Weltmeister hinsichtlich zurückgelegter Distanz (2’307 km pro Kopf). Das ausgeprägte Mobilitätsbedürfnis verlangt folglich auch beim ÖV nach weiteren innovativen Lösungen. Ein zukunftsweisendes Projekt erprobt derzeit etwa Postauto Schweiz: In Sion werden in Zusammenarbeit mit der ETH Lausanne (EPFL) selbstfahrende Busse, sogenannte «Smart Shuttles» für den Nahverkehr getestet. Ein Ansatz der im Innerorts-Verkehr auch als touristische Attraktion durchaus seinen Charme entfaltet.
Mobilität wird jedenfalls auch künftig nicht von Stillstand geprägt sein. Schon in zehn Jahren werden uns heutige Reisegewohnheiten womöglich wieder reichlich realitätsfremd erscheinen. Die immer zahlreicheren Ambitionen betreffend Car-Sharing und selbstfahrenden Fahrzeugen stammen zudem längst nicht alleine von Öko-Idealisten, sondern mittlerweile von etablierten Autoherstellern oder Technologiefirmen wie Google, Uber und IBM. Für die nahe Zukunft wird in medialer Berichterstattung bereits heute nichts geringeres als «eine der grössten Revolutionen bisheriger Mobilitätsgeschichte» kolportiert. Ob dahinter tatsächlich mehr als Science Fiction steckt, wird sich zeigen müssen. Die Effizienzsteigerung mittels ausgeklügeltem Strassenverkehr scheint jedenfalls aufgegleist und vielversprechend.
Auch wenn sich vollautomatisierte Verkehrsszenarien bewahrheiten sollten, völlig verschwinden wird die Faszination für das selbstgesteuerte Fahrzeug auch in Zukunft kaum je ganz. Leidenschaft, Emotionen und Faszination sind in Bezug auf motorisierte Fortbewegung nicht zu unterschätzende Aspekte. Vereinfacht dargestellt, schwört ein Teil der Bevölkerung auf die transporttechnischen Errungenschaften öffentlicher Verkehrsmittel, bei einem anderen Teil dominiert die Liebe zu individuellem Fahrspass, Autodesign oder dem Gefühl uneingeschränkter Bewegungsfreiheit mit privatem Tranportmittel. Beide Beispiel-Pole sind legitime Präferenzen, beides hat durchaus nachvollziehbare Beweggründe. Beim Automobil geht die Bindung zum Gefährt des Öfteren weit über die rein praktischen Vorzüge hinaus. Bestimmte Autos und Herstellermarken verkörpern stets auch einen Lebensstil und transportieren eigenes Selbstverständnis der Fahrer mit. Sie sind dabei letztlich ein eindrückliches Lehrstück erfolgreichen Marketings. Ein teils über ein Jahrhundert lang gewachsener Markenkult der auch in einer komplett computergesteuerten Mobilitätswelt wohl weiterhin einen gewissen Platz finden dürfte.
Sowohl öffentlicher Verkehr wie Individualverkehr werden auch weiter mit prägenden Veränderungen konfrontiert. Nicht ausschliesslich, aber dennoch auch mit besonderem Augenmerk auf die touristische Zukunft der Schweiz, sollten nebst Bund, Kantonen und Städten gerade auch Kommunen möglichst regelmässig ihre Mobilitätsentwicklung und Verkehrsgestaltung analysieren. Dazu gehört auch die unablässige Frage wo uneingeschränkter Individualverkehr zwindgend ist und wo nicht. Können öffentliche Räume einer vielseitigeren und zukunftsfähigen Nutzung zugeführt werden, ohne dass Autofahrer unverhältnismässig schikaniert werden? Dann gilt es Optionen unbedingt zu prüfen. Nebst permanenter Fussgängerzonen bestehen durchaus auch Optionen mit lediglich zeitlich oder saisonal begrenzten Fahrverboten. Entscheidend ist zudem die Lösung der jeweiligen Parkplatz- und ÖV-Situation. Ein Fussmarsch von maximal einigen hundert Metern, ab nahgelegenen Parkplätzen und ÖV-Haltestellen zu jeweils anvisierten Zielen, sind für ortsabwesend domizilierte Personen aber kaum je als übertriebene Schikane deutbar. Stattdessen lockt eine erhöht bewusste Wahrnehmung von Wegstrecke und Umgebung. Ein Ortsempfinden das ab isolierter Fahrzeugkapsel deutlich niedriger ausfällt und weit weniger Kontaktpunkte für kulturelles und touristisches Angebot bietet. Auch das gilt es zu bedenken.
Eine Neupositionierung entdeckenswerter Ortskerne
Die öffentliche Hand hat in Schweizer Ferienregionen mittlerweile zahllose Umfahrungsstrassen realisiert und in zentrumsnahe Parkhäuser investiert. Entsprechend gilt es die sich bietenden Möglichkeiten weiterführender Verkehrsplanungen sorgfältig abzuwägen, und zwar mit Blick auf das grössere Ganze statt auf Partikularinteressen. Gelingt es Begegnungsorte neu zu inszenieren und ebenso konsequent zu vermarkten, eröffnen sich nämlich gerade für den Schweizer Bergtourismus einige dringend gesuchte Zukunftschancen. Egal ob mit Blickwinkel von Passantin oder Flaneur, die Chancen sind sowohl für Bevölkerung wie Tourismus mannigfach. Dank bereits erprobten Verkehrsregelungen und ausgefeilter Technologien ist es denn auch längst möglich einem möglichst unkomplizierten Zugang zu Anwohnerliegenschaften und Hotelparkings angemessen Rechnung zu tragen. Dass Bedürfnisse Langsamverkehrs (Fussgänger und Velofahrer) auch innerorts stärker in die Ausgestaltung neuer Verkehrskonzepte einfliessen, entspräche zudem einem weiteren positiven Signal für zeitgemässen Umgang mit Mobilität. Hierzulande werden diese noch immer vergleichsweise stark an den Rand gedrängt.
Zweifellos erfordern Reorganisationen des Verkehrsregimes auf den ersten Blick auch zahlreiche unpopulär erscheinende und einschneidende Massnahmen. Umso wichtiger sind transparente Zielvermittlung, die Einbindung aller betroffenen Interessengruppen und dialogorientierte Öffentlichkeitsarbeit. Zahlreichen Tourismusgemeinden bieten sich aber weitreichende Gestaltungsoptionen zur Aufwertung und Neuinszenierung attraktiver Begegnungsstätten. Denn auf frei werdenden Strassen- und Parkfeldflächen würden sich gänzlich neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnen. Und dank moderner Leitsysteme kann erst noch die ökologisch sinnvolle Eindämmung unnötigen Suchverkehrs geltend gemacht werden. Auch wiederkehrende Aufwendungen für teuren Strassenunterhalt würden dank Minderbelastungen künftig reduziert und ebenso Verschmutzungen an Gebäudefassaden verringert. Gute Bedingungen also, um vermehrt auch privaten Investitionen in attraktivere Aussenraumgestaltungen den Weg zu ebnen.

Mobilitätszunahme, zunehmend kürzere Reisezeiten, Kurzentschlossenheit, schwindende Destinationstreue und vermehrt resultierende Tendenz zu Kurzaufenthalten sind im städtischen wie im alpinen Tourismus längst Realität. Werden Ortszentren und historische Ortsteile gesamthaft zu besucherfreundlichen Anziehungspunkten weiterentwickelt, bieten sich neue Argumente im anspruchsvollen Wettbewerb um Gäste. Verkehrsberuhigung kommt dem für die Besuchsentscheidung höchst relevanten Kriterium „Ambiente“ zugute und eröffnet gleichzeitig Chancen für Kommunikationsaktivitäten und nachhaltige Imagepflege. Statt auf Individualverkehr sollten wir künftig lieber proaktiv auf die individuelle Einzigartigkeit eines Ortes setzen. Den Gästen so endlich die Möglichkeit geben – nebst Naturerlebnissen – auch faszinierende Bauten, Ausblicke, Geschichte und Kultur weitreichend nachvollziehen zu dürfen. So können wir Besuchererlebnisse in vitalen Dorfzentren schaffen, die gerade auch für lokale Gastronomie, Verkaufsgeschäfte und Beherbergungsbetriebe neue Aussichten und Wertschöpfung versprechen.
Die Konkurenz schläft jedenfalls nich. Konsequenter auf das Potenzial einladender Ortskerne will jüngst beispielsweise Kitzbühel setzen: Seit 2015 wird in der Tiroler Vorzeigedestination gemeinsam mit der Bevölkerung an umfangreichen Massnahmen für die Verkehrsorganisation der Zukunft gearbeitet. Die Gesamtvision beinhaltet dabei sowohl neue Umfahrungsprojekte, zentrale Parkhäuser, zusätzliche Begegnungszonen, attraktive Aufwertung von Plätzen und ein permanent verkehrsfreies Zentrum. Eine fortlaufende Auseinandersetzung mit Mobilitätspolitik wäre zweifellos auch für zahlreiche Schweizer Mitbewerber sicher prüfenswert. Erfolgreiche Vorreiter wie Gstaad oder Zermatt & Co. lassen jedenfalls heute bereits mit etablierten Umsetzungen grüssen oder beschäftigen sich mit noch effizienteren Transportsystemen und neuen Zukunftsszenarien.